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Mythos Tempelhof – eine Tour im ehemaligen Flughafen

„Vielleicht erkennen Sie, was das mal gewesen ist?“ Unser Tourguide deutet auf eine Röhre aus Stahl und Glas an der Wand. „Ein Fahrstuhl?“ kommt es aus der Gruppe. „Genau, das ist einer der zwei Aufzüge, die extra für Hitler gebaut wurden,“ sagt der Guide. Wir befinden uns in Berlin, am Flughafen Tempelhof. Und der strotzt nur so vor Geschichtsträchtigkeit.

Auch, wenn hier seit 2008 keine Flugzeuge mehr starten und landen, ist das ehemals flächenmäßig größte Gebäude der Welt (bis 1946) mit dem riesigen Tempelhofer Feld (deutlich größer als Monaco!) noch immer ein faszinierender Ort.
Mittlerweile werden verschiedene Touren angeboten, angefangen bei einer Führung zu Verborgenen Orten, über eine Zeitzeugen-Führung bis hin zur Rolle des Flughafens im Dritten Reich. Wir entscheiden uns für „Mythos Tempelhof“, was ein hervorragender Einstieg ist. An dem schönen Wochenende herrscht großer Andrang, so dass die vielen Besucher in zwei Gruppen aufgeteilt werden.

Die ehemalige Abfertigungshalle – Sushi auf dem Gepäckband

Der Guide unserer Gruppe, Lars, 27 Jahre, Student der Kunstgeschichte, nimmt uns mit auf eine Reise in die außergewöhnliche Geschichte des im Nationalsozialismus enstandenen Prunkbaus. Die Tour führt durch viele Bereiche des Flughafens, auch wenn man durch die enormen Ausmaße nur einen Bruchteil zu Gesicht bekommt. Sie führt mit zahlreichen Fotos und Entwürfen durch die (angedachte) Nutzung als Nazi-Prunkwerk, über die spätere Benutzung der Amerikaner.

Auf dem Dach des Flughafens sollten bei Luftparaden 100 000 Menschen Platz finden

„Muschelkalkstein hatte für die Erbauer etwas sehr Vaterländisches, Bodenständiges aussgestrahlt,“ sagt Lars. Der ganze Flughafen wurde mit Muschelkalkstein verkleidet. Die Planung zum Flughafen Tempelhof geht auf den Architekten Ernst Sagebiel zurück. 1936 wurde mit dem Bau begonnen, bereits fünf Jahre später stand das riesge Gebäude. Und auch wenn die Meinungen über dessen architektonische Ästhetik auseinandergehen, ist seine schiere Größe allemal beeindruckend. Noch immer ist es das viertlängste Gebäude der Welt und das größte Baudenkmal Europas.  Wir fahren mit einem Fahrstuhl aufs Dach. Hier sollten bei Luftparaden 100 000 Menschen Platz finden, insgesamt wurde der Flughafen für 1,1 Millionen Zuschauer geplant.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Flughafen dann zweckentfremdet als Rüstungsschmiede genutzt. Zwangsarbeiter aus Lagern auf und am Tempelhofer Feld mussten hier für die Weser-Flugzeugwerke und die Lufthansa Kampfflugzeuge bauen. Erste Konzentrationslager entstanden am Rand des Feldes, auch um politische Gegner abzuschrecken, Gefangene wurden bei offenem Fenster gefoltert.

Nach dem Krieg nahmen die Amerikaner den Flughafen in Betrieb während den Zeiten des besetzten Berlins wurde er mit der Luftbrücke zur Lebensader der abgeschnittenen Stadt. In Spitzenzeiten startete und landete hier rund einmal pro Minute ein Flugzeug und sicherte so die Versorgung der West-Berliner, wie uns der Tourguide anschaulich erzählt. „Lieber von Russen blockiert und von Amerikanern gefüttert als andersrum“ soll man sich damals gesagt haben.

Die ehemalige Basketbakkhalle der Berlin Braves – einst als Ballsaal für die Eliten der Nazi-Diktatur geplant

Als später auch die zivile Nutzung in Teilen genehmigt war, standen sich Maschinen von Lufthansa & Co. und militärisches Sperrgebiet der Amerikaner nur weniger Meter gegenüber. Heute kann man auch ehemals nicht zugängliche Bereiche besuchen, wie etwa den zu einem kurzerhand als Basketballhalle umfunktionierten Ballsaal oder die von den Amerikanern als Bowlingbahnen genutzen Areale.

Die beeindruckende Abfertigungshalle hat durch Schäden während der Bombardierung drei Meter an Höhe verloren. Doch die mit 14 Metern noch immer atemberaubende Halle lässt erahnen, wie es einmal gewirkt haben muss. Heute dient sie als Veranstaltungsraum. Wer also das nötige Kleingeld mitbringt, findet hier für 80.000 Euro Miete garantiert eine außergwöhnliche Event-Location. Als der Bundespresseball dort stattfand, diente beispielsweise das alte Gepäckband zum Transport des Sushi-Catering, wie unser Guide süffisant zum Besten gab.

Die Spielstände aus der zeit, als der Luftschutzbunker im Keller des Flughafens als Billardraum genutzt wurde

Doch die Tour führt auch in beklemmende Räume, wie die ehemaligen Luftschutzbunker, die während der Luftangriffe zum Ende des Weltkriegs viel Angst miterlebt haben müssen. Es gab dort unten kein fließend Wasser und oft kein Licht, die Bunker waren zudem vielfach überbelegt. Heute kann man an den Wänden neben Zeichnungen zu Wilhelm Buschs geschichten, die die Wartenden Schutzsuchenden aufheitern sollten auch Zählerstände an den Wänden sehen. Denn die Amerikaner nutzten den Keller als Billardraum.

Der Kopf des Reichsadlers, der einst auf dem Dach des Flughafens stand, „geköpft, sehr symbolisch“

Nach fast zwei Stunden sind wir wieder vor dem Flughafen angekommen. Lars erzählt uns die letzte spannende Geschichte dieser Führung: Auf dem Dach des Flughafens saß ursprünglich ein 4,5 Meter großer Reichsadler. „Die Amerikaner haben den Adler auf ihre ganz eigene Art entnazifiziert und einfach den Kopf weiß angemalt,“ erklärt er. Später wurde das Tier dann doch zerstört, nur den Kopf ließ man ganz und brachte ihn in die Militärakademie in West Point. Dort wurde er aber nie ausgestellt. Heute steht der Adlerkopf auf dem Parkplatz vor dem Flughafengebäude, „geköpft, sehr symbolisch“ sehe er dort aus, sagt Lars.

Eine absolut beeindruckende Führung, die wir wärmstens den Besuchern Berlins empfehlen möchten. Wie bereits erwähnt, warten noch weitere verheißungsvolle Touren in die Geheimnisse des Flughafens Tempelhof.
Wir kommen wieder.

Informationen

Preis: 13€

Dauer: 2 Stunden

Informationen: http://www.thf-berlin.de/flughafengebaeude/gebaeudefuehrungen/

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